Eine Frau geht mit einem kleinen Kind durch einen Tunnel.
FAQ

Kindergeld für EU-Bürger Die Kehrseite der Freizügigkeit

Stand: 09.08.2018 19:16 Uhr

Der Städtetag klagt über zu hohe Kindergeldzahlungen für Kinder, die im EU-Ausland leben. Wie ist es möglich, dass Kindergeld gezahlt wird, obwohl die Empfänger nicht in Deutschland leben? Fragen und Antworten.

Wer hat generell Anspruch auf Kindergeld?

Kindergeld erhalten alle Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft ab der Geburt bis zur Volljährigkeit mit 18 Jahren. Unter bestimmten Bedingungen zahlt die Familienkasse auch danach weiter. Das gilt auch für EU-Bürger aus dem Ausland, die in Deutschland leben, sowie für Bürger von Nicht-EU-Ländern, wenn sie entsprechende Voraussetzungen erfüllen.

Junge Erwachsene zwischen 18 Jahren und 25 Jahren erhalten die Zahlung, wenn sie erstmalig eine Schul- oder Berufsausbildung absolvieren. Auch während eines Studiums bekommen sie Kindergeld, jedoch nur bis zu ihrem 26. Geburtstag.

Es gibt weitere Voraussetzungen: Das Absolvieren eines Praktikums und der Bundesfreiwilligendienst gehören dazu.

Kindergeld ist keine Sozialleistung, sondern wird von der Familienkasse gezahlt, einer Abteilung der Bundesagentur für Arbeit. Somit ist das Kindergeld eine Leistung des Bundes, nicht der Länder.

Wie hoch sind die Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit?

Meist wird das Kindergeld den Eltern beziehungsweise einem Elternteil ausgezahlt. Im laufenden Jahr 2018 erhalten die Bezieher für ein Kind 194 Euro. Für das zweite Kind wird noch einmal dieselbe Summe gezahlt. Für das dritte Kind gibt es 200 Euro, ab dem vierten Kind 225 Euro.

Laut Kabinettsbeschluss von Ende Juni soll ab Juli 2019 das Kindergeld um zehn Euro steigen.

Im Juni wurde laut aktuellen Zahlen des Finanzministeriums für 268.336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der EU oder im europäischen Wirtschaftsraum leben, Kindergeld gezahlt. Das sei ein Plus von 10,4 Prozent im Vergleich zum Stand Ende 2017 (243.234 Empfänger), so ein Ministeriumssprecher.

Laut Statistischem Bundesamt zahlte die Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2016 insgesamt für 14,72 Millionen Kinder im In- und Ausland Kindergeld. Im Jahr davor waren es 14,55 Millionen Kinder, im Jahr 2014 14,53 Millionen Kinder.

Die Summe aller Empfänger - also des Elternteils, dem das Kindergeld für ein oder mehrere Kinder überwiesen wurde - lag 2016 bei 8,92 Millionen. Davon hatten 1,41 Millionen Bürger eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche - also alle aus dem Ausland stammenden Bürger in Deutschland und außerhalb des Landes, die Anrecht auf Kindergeld haben. 2015 waren es insgesamt 8,83 Millionen Empfänger, davon 1,27 Millionen aus dem Ausland (2014: 8,83 Millionen insgesamt, 1,22 Millionen aus dem Ausland).

Auf welcher rechtlichen Grundlage erhalten Bürger anderer Staaten Kindergeld?

Grundlage für die Zahlungen von Kindergeld an EU-Bürger aus dem Ausland ist die Freizügigkeit in der Europäischen Union. Sie regelt die Einreise und den Aufenthalt von EU-Bürgern in anderen EU-Staaten.

Ein Aufenthalt unterhalb von drei Monaten ist unkritisch. In der Zeit genießt der Bürger eben alle Freizügigkeit. Danach muss laut Bundesinneministerium der Unionsbürger in der Lage sein, sich und seine Angehörigen wirtschaftlich zu versorgen, ohne die Sozialsysteme des Aufenthaltsstaates unangemessen zu beanspruchen. Diese Regelung gilt auch für Angehörige des Europäischen Wirtschaftsraums (alle 28 EU-Staaten plus Norwegen, Island und Lichtenstein) sowie der Schweiz.

Iris Marx, ARD Berlin, zum Anstieg ausländischer Kindergeldempfänger

tagesschau 14:00 Uhr

Über die Feststellung der Freizügigkeit ausländischer EU-Bürger entscheidet im Zweifel die Ausländerbehörde. Die Familienkassen haben kein eigenes Prüfrecht.

Kindergeld wird EU-Bürgern aus dem Ausland hierzulande dann ausgezahlt, wenn sie ihren Wohnsitz oder ihren sogenannten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Eine weitere Voraussetzung besteht darin, dass der Antragssteller als Arbeitnehmer oder Selbstständiger in Deutschland steuerpflichtig sein muss.

Nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer erhalten Kindergeld nur, wenn sie die Berechtigung einer Erwerbstätigkeit und eine Aufenthaltsberechtigung besitzen. Darüber hinaus sind laut Familienkasse Staatsangehörige aus Algerien, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Marokko, Montenegro, Serbien, Tunesien oder der Türkei berechtigt, Kindergeld zu beantragen, wenn sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder Arbeitslosen- oder Krankengeld beziehen. Auch unanfechtbar anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte erhalten Kindergeld.

Was bedeutet die Freizügigkeit für die Kindergeldregelungen der einzelnen EU-Staaten?

Die EU-Freizügigkeit für Arbeitnehmer gilt zwar für alle EU-Bürger in allen EU-Ländern. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte im Juni 2016 jedoch fest, dass die Freizügigkeit in der EU kein gemeinsames europäisches Sozialsystem schaffen würde. Die nationalen Systeme behielten ihre Gültigkeit.

Der EuGH behandelte 2016 die Frage, was mit den EU-Bürgern ist, die weder einen festen Wohnsitz noch eine steuerpflichtige Arbeit in dem EU-Land vorweisen, in dem sie Kindergeld beantragen wollen. Nicht-britische EU-Bürger, die sich in Großbritannien aufhielten und deren Antrag auf Kindergeld abgelehnt wurde, hatten zuvor bei der EU-Kommission Beschwerde eingelegt. Die Kommission hatte daraufhin wegen vermeintlicher EU-Vertragsverletzungen geklagt.

Das Gericht urteilte, dass die britische Regelung zutrifft, derzufolge Eltern aus der EU ohne Aufenthaltsrecht in Großbritannien keinen Anspruch auf Kindergeld haben. Der EuGH bestätigte mit dem Urteil also auch die bestehende Regelung in Deutschland.

Worin besteht die Kritik an der bestehenden Regelung in Deutschland?

Grundlegend wird vor allem die Höhe der geleisteten Kindergeldzahlungen für ausländische Kinder außerhalb Deutschlands kritisiert. In einem Statement teilte der auptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, mit:

Die meisten Menschen aus Südosteuropa sind in Deutschland gut integriert. In einigen Städten gibt es jedoch nach wie vor Schwierigkeiten mit sozial schwer integrierbaren Familien, die häufig aus Rumänien und Bulgarien kommen. Ein Aspekt dabei sind Kindergeld-Zahlungen für Kinder, die nicht in Deutschland, sondern in ihren Heimatländern leben.

Auch der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link berichtete von Schlepperbanden, die Menschen aus Südosteuropa nach Deutschland schleusten, um Leistungen wie Kindergeld in Anspruch zu nehmen. Es handele sich um eine Form der organisierten Kriminalität, sagte der SPD-Politiker. Die Menschen würden dazu angehalten, Kindergeld und aufstockende Hartz-IV-Leistungen zu beantragen. "Sie werden in Wohnungen untergebracht von Vermietern, die ganz oft auch Arbeitgeber sind", sagte Link.

Anstieg von ausländischen Kindergeldempfängern

Christian Feld, ARD Berlin, tagesschau 16:00 Uhr

Schon der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel forderte Ende 2016 vom amtierenden Finanzminister Wolfgang Schäuble einen Vorstoß zur Kürzung des Kindergeldes in solchen Fällen. Er forderte, das Geld auf ein Niveau zu senken, das dem des Landes entspreche, in dem sich die Kinder befinden. Gabriels Vorstoß richtete sich vor allem - wie er sagte - gegen Schlepper, die eine Einwanderung in die Sozialsysteme in Deutschland organisieren würden.

Das Finanzministerium unter Schäuble begrüßte Gabriels Forderung. Kritik gab es vor allem von der Linkspartei, den Grünen und vom SPD-Nachwuchs. Darüber hinaus bestand die Befürchtung, dass die EU-Kommission etwas gegen eine solche Regelung haben könnte.

Wie könnte eine Reform der Kindergeld-Regelung aussehen?

Laut Dedy vom Deutschen Städtetag muss sichergestellt werden, dass das "Kindergeld seinen eigentlichen Zweck erfüllt und dem Bedarf der Kinder gerecht wird". Das Kindergeld müsse sich daran orientieren, was Kinder in ihrem tatsächlichen Aufenthaltsland brauchten "und nicht die Höhe aufweisen, die in einem anderen Land am Wohnsitz ihrer Eltern gezahlt wird". Er verband seine Forderung mit einem Appell an die Bundesregierung. Sie solle "ihre Absicht aus der vergangenen Legislaturperiode weiterverfolgen und auf EU-Ebene eine entsprechende Änderung durchzusetzen versuchen".

Nach EU-Angaben beträgt das Durchschnittsgehalt in Rumänien 715 Euro brutto monatlich, das Kindergeld zwischen 18 und 43 Euro.

Auch die AfD erkannte das Thema für sich und stellte Anfang des Jahres eine Kleine Anfrage über die Zahlungen der Familienkasse an Kinder von EU-Bürgern, die im Ausland leben. In der Antwort vom März dieses Jahres geht die Bundesregierung auf einen immer wieder diskutierten Vorschlag ein, wie die Höhe der Kindergeldzahlungen für EU-Kinder im Ausland mit einer sogenannten Indexierung berechnet werden könnte. In der Antwort heißt es:

Die Ressorts stimmten darin überein, dass eine Indexierung von Kindergeld entsprechend den Lebenshaltungskosten im Wohnsitzstaat des Kindes erfolgen sollte. Wegen der dafür erforderlichen und noch ausstehenden Änderung des bisher entgegenstehenden Unionsrecht beschloss das Bundeskabinett zunächst ein Eckpunktepapier zum Kindergeld für im EU-Ausland wohnende Kinder.

Die SPD-Chefin und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles sagte, dass die Überlegungen zur Indexierung des Kindergeldes nur schleppend vorankämen. "Die Indexierung des Kindergeldes kann nur europäisch gelöst werden", so Nahles. Die Bundesregierung bemühe sich darum. Das Problem sei wegen der EU-weit unterschiedlichen Systeme kompliziert. Sie kündigte ein Kindergeld-Spitzentreffen mit betroffenen Städten für den 27. September in Berlin an.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 09. August 2018 um 16:00 Uhr.