Macrons erster EU-Gipfel Alles andere als ehrfürchtig

Stand: 22.06.2017 14:03 Uhr

Für den französischen Präsidenten Macron ist es der erste EU-Gipfel. Dass er vor den anderen Staatschefs nicht erfürchtig erzittert, zeigte er vorab in mehreren Interviews. Darin setzte er auf Deutschland, kritisierte den mächtigen Nachbarn aber auch.

Er ist der Neue in der Gipfel-Klasse: Emmanuel Macron. Frankreichs Staatspräsident wird mit Spannung erwartet. Zusammen mit Angela Merkel plant er eine "Allianz des Vertrauens", deren Umrisse schon heute sichtbar werden dürften. Auf jeden Fall soll eine neue Achse Berlin-Paris die EU voranbringen und aus ihrem Brexit-Phlegma lösen. Den Schlüsselsatz spricht Macron gerne auf deutsch, wie unlängst bei einem Besuch in Berlin: "Durch Europa muss ein Ruck gehen." 

"Europa ist kein Supermarkt"

Kurz vor dem Gipfel gab es Pariser Reminiszenzen an die Vergangenheit: Er wünsche sich, Europa hätte noch den Geist der Zusammenarbeit wie zwischen Kohl und Mitterrand. Der Altkanzler, für den gerade ein "europäischer Staatsakt" am 1. Juli vorbereitet wird, und Macrons legendärer sozialistischer Vorgänger aus längst vergangener Zeit hatten trotz unterschiedlicher politischer Heimaten vertrauensvoll zusammen gearbeitet, was Macron als Modell auch für die Zukunft dienen soll, auch wenn Merkel der Vergleich nicht unbedingt gefallen dürfte.

In verschiedenen Interviews vor dem Gipfel warnte Macron, die EU könnte zerfallen. Europa sei "kein Supermarkt, sondern eine Schicksalsgemeinschaft". Der Brexit sei ein Weckruf. Gleichzeitig will Macron Frankreich wieder zu einem europäischen Motor machen und die politische Ausrichtung korrigieren, weg von der "Austeritätspolitik", hin zu mehr gegenseitiger Rücksicht: "Wir müssen die europäische Dynamik wiederbeleben, aber Frankreich wird das nicht schaffen ohne grundlegende Reformen. Ich hoffe, dass Europa und Frankreich vorankommen und gemeinsam Erfolg haben."

Deutschland als Profiteur ungerechter Entwicklungen?

Europa nach vorn mit einem neuen Führungsduo Merkel-Macron? Oder Macron und "Maman", wie es ein deutsches Blatt nicht ohne Süffisanz vor einiger Zeit formulierte? Der EU-Gipfel wird zeigen, welches Potential eine deutsch-französische Allianz hat - und ob sie langfristig halten kann. Bundeskanzlerin Merkel hatte wiederholt angekündigt: "Deutschland und Frankreich gehen diese Schritte gemeinsam" und gleichzeitig angefügt: "wo immer das möglich ist."

Denn traute politische Zweisamkeit wird es nicht durchweg geben in Brüssel: Macron kritisiert Deutschland und versucht, die wunden Punkte der deutschen Handels- und Wirtschaftspolitik zu treffen. Macron spricht von Ungleichgewichten und erklärte Deutschland zu einem Profiteur ungerechter Entwicklungen in der EU.

Die Stärke der einen dürfe sich nicht aus den Schwächen der anderen speisen. Deutschland habe inzwischen erkannt, dass diese Lage unhaltbar sei. Seine Forderungen: eine Vertiefung der Eurozone mit eigenem Haushalt und mehr demokratischer Kontrolle. Deutschland werde sich dem langfristig nicht verweigern können. Aber in Berlin fürchtet man die Vergemeinschaftung der Risiken.

Deutliche Kritik an Polen und Ungarn

Für Zündstoff dürfte aber auch ein anderes Thema sorgen. Macron legt sich mit Polen und Ungarn an: Für sie sei die EU offenbar nur gut, um Geld zu verteilen - ohne ihre Werte zu respektieren. Ein Satz, der auch hier empfindliche Stellen berührt. Vor allem aber in dieser Deutlichkeit von EU-Regierungschefs nur äußerst selten zu hören ist.

Anderes ist weniger umstritten: die gemeinsame Verteidigung soll gestärkt werden. Deutschland und Frankreich sehen sich hier als Schrittmacher - vor allem den kleinen baltischen EU-Staaten gefällt das, die sich an der Grenze zu Russland in einer unbequemen Lage sehen.

Fortschritte bei Sicherheitspolitik erwartet

In Sachen Sicherheit soll mehr gegen islamistische Hassbotschaften und Anwerbeversuche im Internet unternommen werden. Hier wird man vorankommen. Zumal es erst am Dienstag einen ernsten Vorfall im Brüsseler Hauptbahnhof gegeben hatte, bei dem nur mit Mühe Schlimmeres verhindert werden konnte.

Ein heftiges Gerangel dürfte es um das Erbe Großbritanniens gehen - nach dem Brexit. Genauer: Um die Institutionen, die noch in London beheimatet sind und abgezogen werden könnten. Dazu gehört die Bankenaufsicht und die EU-Kontrollbehörde für pharmazeutische Produkte.

Bei alldem wird sich zeigen, was von Macron zu erwarten ist. Er ist der Neue in der Gipfelklasse und ihm dürfte schon deshalb größte Aufmerksamkeit zuteil werden. Klar ist schon jetzt: Er will auf jeden Fall Musterschüler sein - in der Bank ganz vorn neben Angela Merkel. Ob sie ihm ab und zu einen Spickzettel schreibt, liegt an ihr.

Andreas Meyer-Feist, A. Meyer-Feist, HR Brüssel, 22.06.2017 12:47 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. Juni 2017 um 09:00 Uhr.