Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wehen eine Deutschland- und eine Europaflagge (Archivbild vom 10.07.2012)
Kommentar

Sondierung aus EU-Sicht Auf dem Weg zur Mehrschichten-Union

Stand: 12.01.2018 17:01 Uhr

Wer mehr Geld gibt, soll auch mehr Einfluss haben: Die Pläne von Union und SPD könnten die EU verändern. Einige Mitgliedstaaten müssen sich auf harte Verteilungskämpfe einstellen.

Ein Kommentar von Andreas Meyer-Feist, HR

Das war eine schwere Geburt: 24 Stunden Tauziehen - herausgekommen ist ein Papier, auf dem das Thema Europa ganz oben steht.

Falls nach den zähen Sondierungen die Koalitionsverhandlungen sauber über die Bühne gehen, falls die neue GroKo tatsächlich kommt, falls die Pläne niemand vergessen hat - was in solchen Fällen leider oft passiert - dann könnte die EU bald anders aussehen als heute.

Schwere Zeiten für Ungarn und Polen

Die neue GroKo will den Brüsseler Apparat neu aufstellen. Kein weiter so wie bisher. Das Ganze unterfüttert mit mehr Geld aus Berlin. Brüssel soll finanziell gestärkt werden.

Das Ziel: mehr Einfluss der EU-Hauptgeldgeber. Weniger Einfluss für diejenigen, die aus Brüssel nur Geld sehen wollen, aber nur wenig Solidarität zeigen, wenn es um teilbare Belastungen geht. Zum Beispiel bei der Versorgung von Flüchtlingen.

Für Länder wie Polen oder Ungarn könnten schwere Zeiten anbrechen - falls sie sich nicht auf die neue Lage einstellen. Ihnen wird ein kräftiger Wind aus Berlin entgegen wehen.

Premium-EU oder Holzklasse?

Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dürfte jetzt aufatmen. Er will Deutschland und Frankreich enger zusammenwachsen lassen - und aus diesem neuen Kraftzentrum heraus die EU verändern. Im Euroraum wird wohl bald enger kooperiert. Hier hat sich der ehemalige EU-Parlamentspräsident Schulz wohl klar gegen die eher zurückhaltende Kanzlerin durchgesetzt.

Am Ende könnte eine Mehrschichten-EU stehen: Auf der einen Seite die Premium-EU, auf der anderen Seite die EU-Holzklasse. Wer upgraden will, muss sich an die Spielregeln halten.

Mehr Geld aus Berlin nur für die richtigen Gegenleistungen

Die neue GroKo will Brüssel verändern. Aber es gibt Fragezeichen. Wenn mehr Geld aus Berlin nach Brüssel fließen soll, dann muss es dafür auch mehr messbare Gegenleistungen geben. Und zwar die richtigen.

Mehr zahlen und dann sparen an der falschen Stelle - das geht nicht mehr. So könnte es aber kommen. Nach dem Brexit fehlt mit Großbritannien einer der wichtigsten EU-Nettozahler.

Verteilungskämpfe um EU-Förderungen

Die Aussage im GroKo-Papier "Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie Aufgaben besser wahrnehmen kann", reicht nicht aus. Das ganze EU-Fördersystem gehört auf den Kopf gestellt, damit es mehr Luft gibt für neue Aufgaben.

Die Landwirtschaft und der Kohäsionsfonds sind Riesen-Batzen. Beides verschlingt einen Großteil des EU-Haushalts. Das wird wohl so nicht mehr bleiben können. Es wird harte Verteilungskämpfe geben. Dann kommt es auch auf Berlin an. 

Andreas Meyer-Feist, Andreas Meyer-Feist, HR Brüssel, 12.01.2018 16:49 Uhr
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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 12. Januar 2018 um 16:50 Uhr.