Eine Gruppe Frauen bei einer Yogaübung
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Sexuelle Übergriffe beim Yoga Wenn der Guru zum Täter wird

Stand: 21.11.2023 05:00 Uhr

In der vermeintlich friedlichen Yoga-Szene sind sexuelle Übergriffe offenbar keine Seltenheit. Recherchen des SWR-Investigativformats Vollbild zeigen, wie Yoga-Lehrer ihre Machtposition missbrauchen.

Von Tasnim Rödder, SWR

"In den Yogakursen hat der Yogalehrer auch meine Haltung korrigiert. Und dann hat er mir ganz beiläufig erzählt, dass ich verspannt sei. Er würde auch Massagen anbieten", sagt Anne*.

Sie lernte den Yoga-Lehrer über den Hochschulsport kennen. Während der Massage berührte er die junge Frau plötzlich an ihren Brüsten und im Intimbereich. Bis heute belastet sie der sexuelle Übergriff: "Das war für mich so ein schlimmes Ereignis, dass es mir schwerfällt, darüber zu sprechen."

Sexuelle Übergriffe in der vermeintlich heilen Yoga-Szene? Yoga gilt vielen als Allheilmittel gegen Stress und körperliche Beschwerden. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Yogapraktizierenden in Deutschland vervierfacht: 16 Millionen Deutsche machen laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK regelmäßig Yoga.

In der Vergangenheit hatten bereits Missbrauchsfälle im Yoga Schlagzeilen gemacht. International bekannten Gurus wie dem Hot Yoga-Gründer Bikram Choudhury oder Swami Vishnudevananda, Gründer von Sivananda Yoga, wurden Vergewaltigung und Machtmissbrauch vorgeworfen. Die Fälle sollen allerdings bereits Jahrzehnte zurückliegen.

Körperlichkeit und Spiritualität Basis für Übergriffe?

Die Recherchen zeigen jetzt: Sexuelle Übergriffe gibt es auch in Deutschland, in kleinen Yoga-Studios, Fitnessstudios und im Hochschulsport. Vollbild hat mit mehr als einem Dutzend Yoga-Schülerinnen gesprochen, die sagen, sie hätten Missbrauch durch ihren Yogalehrer erfahren. Sie machen die sexuellen Übergriffe ihrer Yogalehrer jetzt erstmals öffentlich.

Yoga kann spirituell ausgerichtet sein, und Yoga-Lehrer nehmen häufig eine besondere Machtstellung im Schüler-Lehrer-Verhältnis ein. Zudem ist Yoga auch ein sehr körperlicher Sport - die Lehrer korrigieren häufig die Haltungen ihrer Schülerinnen und Schüler, sie berühren sie und kommen ihnen bei so genannten "Assists" näher als bei manch anderen Sportarten. Die Recherchen zeigen, dass Yoga so leicht zum Nährboden für sexuelle Übergriffe werden kann.

Eine Gruppe Frauen bei einer Yogaübung

Yoga ist ein sehr körperlicher Sport, bei dem die Lehrer die Haltungen ihrer Schülerinnen und Schüler korrigieren.

Frauen- und Sektenberatungsstellen kennen Fälle

Sind sexuelle Übergriffe im Yoga ein unterschätztes Problem? Die Dimension ist schwer zu beziffern. Offenbar erhebt das für Sport zuständige Bundesinnenministerium (BMI) keine Zahlen. Auf Anfrage teilte ein Sprecher mit: "Fälle von Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen im Yoga-Sport wurden bisher nicht an das BMI herangetragen."

Eine VOLLBILD-Umfrage unter Frauenberatungsstellen bundesweit zeigt jedoch, dass sich dort Opfer sexueller Übergriffe im Yoga melden. "Uns sind sowohl psychischer wie auch sexueller Missbrauch bekannt", erklärt etwa die Beratungsstelle "Gegen unseren Willen e.V." und betont: "Besonders oft begegnet uns sexueller Missbrauch." Auch "Lara e.V.", eine Berliner Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen, berichtet von Opfern sexuellen Missbrauchs im Yoga.

Sektenberatungsstellen oft angesprochen

Besonders häufig scheinen sich Opfer sexueller Übergriffe im Yoga an Sektenberatungsstellen zu wenden. So erklärt etwa die Sekteninfo NRW auf Anfrage, "dass starke Hierarchien in der Yogakultur, wenn sie weltanschaulich geprägt sind und nicht nur ein Sportangebot darstellen, in einzelnen Fällen zu Machtmissbrauch führen." Eine Zunahme sei zwar nicht eindeutig festzustellen. "Allerdings trauen sich Frauen inzwischen häufiger, darüber zu sprechen und sich Hilfe zu holen."

Der Fachbereich Weltanschauungsfragen der Erzdiözese München und Freising teilt auf Anfrage mit: "Beratungsanfragen und Problemanzeigen gibt es praktisch seit Bestehen des Fachbereichs (d.h. knapp 50 Jahre)". Für die Sektenberatungsstelle stehe "das Problem zu wenig im öffentlichen bzw. amtlichen Fokus".

Michael Utsch

Religionspsychologe Utsch sieht Parallelen zwischen Yoga-Strukturen und Sekten.

Auch der Religionspsychologe Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen kennt das Problem und weist auf gefährliche Parallelen zwischen Yoga-Strukturen und Sekten hin: "Im religiösen, spirituellen Kontext fängt das erst mit einem Machtmissbrauch an, dass ich also jemandem vertraue und dann erst später merke, der Person geht es ja gar nicht um meine innere Entwicklung, sondern die macht das eigennützig und im Extremfall kann das zum sexuellen Missbrauch führen."

"Yoga hat eine hierarchische Struktur"

Pia Witthöft ist Psychologin. Sie beschäftigt sich mit den Machtstrukturen im Yoga und berät Missbrauchsopfer in einer Beratungsstelle. Viele Menschen finden laut Witthöft im Yoga Zuwendung und Anerkennung. Doch wenn sie sich von ihren Yogalehrern lösen müssten, dann verlören sie das, was sie gerade so sehr suchten - Halt und Bestätigung. Generell habe Yoga eine hierarchische Struktur. "Ich ordne mich als Schülerin der Lehre unter. Und ich soll möglichst auch nicht widersprechen."

Pia Witthöft

Die Psychologin Pia Witthöft beschäftigt sich mit Machtstrukturen im Yoga.

Studentin Katharina* berichtet, sie habe ihren Yogalehrer in einer Fitnesseinrichtung kennengelernt und regelmäßig seine Kurse besucht. Er habe sie zu Kursen seines "inneren Zirkels von Schülerinnen" zu sich nach Hause eingeladen.

Nach einigen Wochen habe er begonnen, sie in Entspannungsübungen anzufassen. "Und da kam es dazu, dass aber diese Massage weitergeführt wurde bis hin zu meinem Intimbereich, unter meine Hose, unter meine Unterhose, an meinen Brüsten und er sich auch an mich geschmiegt hat", erzählt sie. Sie habe sich nicht gewehrt, sei wie gelähmt gewesen: "Das stärkste Gefühl war auf jeden Fall Scham und Ekel. Und ein Gefühl von okay, ich bleib jetzt so, wie ich bin, damit es schnell vorbei ist."

Der Yogalehrer habe auch außerhalb des Yogaraums Kontakt zu ihr gesucht, sei immer wieder vor ihrem Haus oder zu anderen Gelegenheiten aufgetaucht. Katharina habe eine Abhängigkeit empfunden, habe ihn nicht verärgern und die Yogagruppe nicht verlieren wollen. Für Betroffene sei es schwer, sich von den Tätern zu lösen, sagt Psychologin Witthöft.

Yogalehrer wegen sexueller Übergriffe verurteilt

Auch Anne*, die ihren Yoga-Lehrer über den Hochschulsport kennen lernte, traute sich im Moment der Massage nicht, den Übergriffen zu widersprechen. Während der Yogalehrer zum Anfang der Stunde noch auf Konsens bedacht war und die Grenzen der Massage absprach, ging er während der Massage darüber hinaus. Zwei Stunden dauert die Massage, bei der der Yogalehrer sie gegen ihren Willen an den Brüsten und im Intimbereich anfasst.

Anne blieb nicht sein einziges Opfer. Auch Studentin Juna* wurde von demselben Yogalehrer während einer Massage sexuell belästigt. Beide schämten sich nach dem Vorfall, wussten nicht, an wen sie sich wenden sollten. Nach einigen Gesprächen zeigten sie den Täter bei der Polizei an. Es kam zum Prozess. Der Täter wurde wegen sexueller Nötigung rechtskräftig zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt - ausgesetzt zur Bewährung. Außerdem musste er beiden Frauen Schmerzensgeld zahlen.

Nur drei von elf Vereinen bieten Anlaufstelle

Betroffene wie Juna und Anne sagen, sie wünschten sich mehr Unterstützung, vor allem, "dass es mehr Möglichkeiten gibt, Feedback zu geben, ob man sich wohlgefühlt hat oder nicht". Doch was tut die Yoga-Szene, um sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch zu verhindern?

VOLLBILD hat die elf größten Yoga-Vereine und -Verbände in Deutschland angefragt. Auf eine schriftliche Anfrage zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Yoga antworten sieben. Immerhin sechs von ihnen weisen in ihren Richtlinien auf die Gefahr von sexuellem Machtmissbrauch hin. Doch nur drei haben eine Anlaufstelle für Betroffene.

"Hohe Dunkelziffer von Betroffenen"

Der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland e.V. fordert: "Es bräuchte eine zentrale, spezialisierte Anlaufstelle, um eine Statistik zu führen." Und warnt, es gebe "sicherlich auch eine hohe Dunkelziffer von Betroffenen, die sich nicht an die Verbände wenden."

Anmerkung der Redaktion (11. Dezember 2023): In einer früheren Version des Textes hieß es, der Berufsverband Unabhängiger Gesundheitswissenschaftlicher Yogalehrender habe sich nach eigenen Angaben verbandsintern nicht explizit mit dem Thema beschäftigt. Der Verband hat jetzt klargestellt, dass er sich in seiner Antwort auf große internationale Fälle von Missbrauch im Yoga bezogen hatte. Der Verband verpflichte mit seinen Qualitätskriterien seine Yogalehrerinnen und Yogalehrer seit 2003, "die Dozentenrolle nicht zum Anknüpfen sexueller Kontakte zu missbrauchen". Wir haben den Absatz entfernt, um Missverständnisse zu vermeiden.

Thomas Becker, SWR, tagesschau, 21.11.2023 07:05 Uhr

*Namen von der Redaktion geändert