Der Angeklagte Hamdi H. steht in Berlin in einem Gerichtssaal des Landgerichtes Berlin zwischen seinen Anwälten und hält sich eine Akte vor das Gesicht.
Analyse

Raser-Prozess "Das Mord-Urteil ist eine Überraschung"

Stand: 27.02.2017 15:41 Uhr

Mit der lebenslangen Haft für die Raser aus Berlin haben die Juristen ein außergewöhnliches Urteil gesprochen. Wie unterscheiden sich fahrlässige Tötung und ein Tötungsvorsatz? Und was bedeutet der Richterspruch für künftige Autorennen mit Todesfolge?

Eine Analyse von Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion

Das Urteil aus Berlin ist eine Überraschung. Zum ersten Mal werden die Teilnehmer eines illegalen Autorennens mit tödlichem Ausgang wegen Mordes zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Keine fahrlässige Tötung und damit eine Höchststrafe von fünf Jahren, sondern Mord und damit automatisch lebenslange Strafen. Das Gericht nimmt also einen Tötungsvorsatz bei beiden Rasern an.

Tod billigend in Kauf genommen

Vorsatz, das muss man wissen, bedeutet juristisch keinesfalls ausschließlich, dass Täter absichtlich handeln. Es reicht auch, dass sie zum Tatzeitpunkt entweder von der Folge - also hier dem Eintreten des Todes - sicher wissen oder dass sie den sogenannten bedingten Vorsatz haben. Bedingter Vorsatz bei Mord oder Totschlag heißt, dass die Täter den Tod einer anderen Person zumindest billigend in Kauf nehmen.

In jedem Fall muss sich das Gericht damit auseinandersetzen, was die Raser im konkreten Fall gedacht haben. Und weil die Richter nicht in die Köpfe der Angeklagten hineinschauen können, müssen sie diese Gedanken der Täter oft aus dem, was geschehen ist, herleiten. Es reicht aber keinesfalls, allgemein zu sagen: Das muss doch jedem bewusst sein, dass bei so einem Rennen andere Verkehrsteilnehmer sterben können.

Fahrlässige Tötung oder Tötungsvorsatz?

Denn genau das ist die Abgrenzung zur fahrlässigen Tötung. Haben die Täter gedacht: "Es wird schon gut gehen" oder "Wir haben die Sache im Griff" - dann wäre es eine fahrlässige Tötung. Weil sie es besser hätten wissen müssen und nicht davon ausgehen durften, dass es gut gehen werde, wenn sie mit 170 km/h über rote Ampeln rasen. Haben sie gedacht: "Wenn jemand dabei zu Tode kommt, ist mir das egal" oder "Na, wenn schon", dann nehmen sie billigend in Kauf, dass jemand stirbt. Und erst dann haben sie Tötungsvorsatz.

Die Richter in Berlin haben nun genau das im konkreten Fall angenommen: Die beiden Angeklagten hätten gewusst, was ihr Verhalten für eine Auswirkung auf andere Verkehrsteilnehmer haben kann und sie hätten sich vor dem Rennen mit dem möglichen Tod anderer Verkehrsteilnehmer abgefunden.

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Anwälte haben die Revision schon angekündigt. Der Bundesgerichtshof wird sich also noch mit dem Fall beschäftigen.

Jeder Fall wird neu bewertet

Wichtig zu wissen ist auch, dass das Urteil aus Berlin nicht bedeutet, dass von nun an jedes Autorennen mit tödlichem Ausgang als Mord bewertet wird. Jeder Fall muss wieder neu bewertet werden. Immer steht die Frage im Raum: Was haben die Raser konkret gedacht?

Weil die Teilnehmer von Autorennen bisher nach der Ansicht vieler zu mild bestraft wurden, gibt es derzeit Bestrebungen die Gesetze zu verschärfen. Im September hat der Bundesrat beschlossen einen Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Danach soll die Teilnahme an illegalen Autorennen auch ohne tödliche Folgen mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sein. Kommt bei einem Rennen eine Person zu Tode, stehen bis zu zehn Jahre im Raum. Also doppelt so viel, wie bisher bei der meist angenommenen fahrlässigen Tötung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 27. Februar 2017 um 12:00 Uhr und tagesschau24 um 15:00 Uhr.