Fixierung eines Patienten
FAQ

Nach BVerfG-Urteil Wann dürfen Patienten künftig fixiert werden?

Stand: 24.07.2018 14:51 Uhr

Das Verfassungsgericht hat der Fixierung von Patienten in der Psychiatrie Grenzen gesetzt. Was folgt daraus für den Alltag auch in Heimen? ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam erläutert das Urteil.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsexperte

Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die "Fixierung" in der Psychiatrie unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig ist. Und sie muss von einem Richter angeordnet oder genehmigt werden. Die Fixierung ist in den Gesetzen der Bundesländer geregelt. In diesem Verfahren wurden die Gesetze aus Baden-Württemberg und Bayern überprüft. Sie müssen an die Vorgaben des Urteils angepasst werden. In der Zwischenzeit sind Fixierungen unter den Bedingungen des Urteils weiter möglich.

Was bedeutet Fixierung?

Fixierungen kann es in unterschiedlichen Bereichen geben, zum Beispiel auch in Alten- und Pflegeheimen. Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geht es konkret um die Fixierung in der geschlossenen Psychiatrie. In einem ersten Schritt werden Menschen dort zwangsweise untergebracht - zum Beispiel nach einem Gerichtsurteil oder im Notfall durch die Polizei, etwa wenn jemand unter Drogen oder Alkohol steht und randaliert. Einer der Kläger wurde nachts mit 2,6 Promille Alkohol eingeliefert, Suizidgefahr stand im Raum.

Innerhalb der Psychiatrie kann es dann zu einer weiteren Freiheitsentziehung kommen, der Fixierung. Bei der "Fünf-Punkt-Fixierung" werden beide Arme und Beine sowie der Bauch festgezurrt. Bei der "Sieben-Punkt-Fixierung" kommen noch Brust und Stirn hinzu. Die beiden Kläger waren gegen ihre Fixierung bis nach Karlsruhe gegangen.

Wie oft kommt das vor?

Genaue bundesweite Zahlen gibt es nicht. In der mündlichen Verhandlung hieß es, in Baden-Württemberg habe es im Jahr 2015 rund 4000 Fixierungen auf Basis des umstrittenen Gesetzes gegeben. Ein Sachverständiger aus München hatte gesagt, rund drei bis acht Prozent der Patienten in der Psychiatrie würden zeitweise fixiert.

Welche Grenzen hat das Gericht gesetzt?

Weil solche Fixierungen ein erheblicher Eingriff in die Freiheitsrechte der Betroffenen ist, sind sie nur unter strengen Voraussetzungen zulässig:

- Im Gesetz muss stehen, dass eine Fixierung nur das "letzte Mittel" sein darf.
- Ein Arzt muss die Fixierung anordnen und überwachen.
- "Fünf-Punkt- und Sieben-Punkt-Fixierungen" müssen von Pflegepersonal in "Eins-zu-eins-Betreuung" begleitet werden.
- Der Verlauf der Fixierung muss dokumentiert werden.
- Die Betroffenen müssen danach darauf hingewiesen werden, dass eine gerichtliche Überprüfung möglich ist.

Warum fordert Karlsruhe eine richterliche Entscheidung zur Fixierung?

Die "Fünf-Punkt"- und "Sieben-Punkt-Fixierung" ist laut Gericht eine "Freiheitsentziehung", jedenfalls wenn sie länger als eine halbe Stunde dauert. Das Grundgesetz regelt ausdrücklich, dass über Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung ein Richter entscheiden muss (Artikel 104 Absatz 2 Satz 1). Diesen Grundsatz wendet das Gericht nun auf die Fixierung an.

Wie soll das mit der richterlichen Entscheidung ablaufen?

Im Prinzip muss die Klinik die richterliche Entscheidung  vor einer Fixierung einholen. Die Karlsruher Richter sehen aber auch, dass das in der Praxis schwierig sein kann, da es geht meist um Extremsituationen mit schreienden oder um sich schlagenden Patienten geht. Zunächst kann es also wichtiger sein, sich um den Schutz des Patienten zu kümmern. Das erkennt das Gericht an.

Deshalb ist auch eine nachträgliche richterliche Genehmigung möglich, wenn die Fixierung der Abwehr einer vom Betroffenen ausgehenden akuten Gefahr für ihn selbst oder die Ärzte und Pfleger dient. Dann muss die Klinik die richterliche Entscheidung so schnell wie möglich nachholen.

Ist denn immer ein Richter erreichbar?

Wird eine Fixierung in der Nacht angeordnet, muss die richterliche Genehmigung am nächsten Morgen ab sechs Uhr nachgeholt werden. Karlsruhe fordert, dass die Gerichte einen "täglichen richterlichen Bereitschaftsdienst" von sechs bis 21 Uhr zur Verfügung stellen müssen. Ein zuständiger Richter müsse dann auch erreichbar sein und Zeit für die Genehmigung haben, fordert Karlsruhe ausdrücklich.

Warum legt das Karlsruhe die Hürden so hoch?

Die Verfassungsrichter sehen durchaus, welch schwierige Situationen Ärzte und Pflegepersonal in der Psychiatrie bewältigen müssen. Das wurde schon in der mündlichen Verhandlung Ende Januar 2018 deutlich, in der sie mehrere Praktiker ausführlich hörten. Die Richter bewerten die Fixierung aber als besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff.

Psychisch kranke Menschen würden die Fixierung als eine bedrohliche und besonders belastende Situation empfinden, der sie hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sind. Deswegen legt das Gericht die rechtlichen Hürden so hoch. Karlsruhe hat immer wieder die Grundrechte von kleinen Gruppen in schwierigen Lebenslagen hervorgehoben, zum Beispiel im Strafvollzug. Diese Linie setzt das Gericht hier fort.

Müssen jetzt die Gesetze geändert werden?

Baden-Württemberg und Bayern müssen ihre Gesetze nun bis Ende Juni 2019 den Vorgaben aus Karlsruhe anpassen. Auch wenn die anderen Bundesländer nicht am Verfahren beteiligt waren - sie werden überprüfen müssen, ob ihre Gesetze den Anforderungen des Urteils entsprechen. Daneben wird sich für die Bundesländer auch die Frage der personellen Ausstattung von Kliniken und Gerichten stellen. Eine "Eins-zu-eins-Betreuung" und ein täglicher richterlicher Bereitschaftsdienst von sechs bis 21 Uhr könnten durchaus zu einer Herausforderung werden.

Wie ist die Fixierung in Alten- und Pflegeheimen geregelt?

Auch in Alten- und Pflegeheimen kommt es immer wieder vor, dass Patienten zum Schutz fixiert werden müssen. Zum Beispiel, damit sie nicht aus dem Bett oder dem Rollstuhl fallen oder damit sie sich nicht selbst oder das Pflegepersonal gefährden. § 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs regelt die Voraussetzungen. Danach muss bei solchen Maßnahmen immer das Betreuungsgericht eingeschaltet werden, auch wenn der Betreuer oder der Bevollmächtigte vorher in die Maßnahme eingewilligt haben. Nur wenn akute Gefahr besteht, ist die Fixierung schon vor der richterlichen Genehmigung zulässig. Diese muss dann aber unverzüglich nachgeholt werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 24. Juli 2018 um 17:00 Uhr.