Die Angeklagte Beate Zschäpe betritt den Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München.

NSU-Prozess Nebenklage attackiert Behörden

Stand: 15.11.2017 20:27 Uhr

Nach zwei Monaten Stillstand können im Münchner NSU-Prozess nun endlich die Nebenklage-Anwälte ihre Plädoyers halten. Schon zum Auftakt ging es zur Sache - mit scharfen Angriffen gegen die Sicherheitsbehörden und die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.

Neun Wochen lang haben die Nebenklage-Anwälte im NSU-Prozess darauf gewartet, mit ihren Plädoyers beginnen zu können. Denn seit Mitte September hatten die Verteidiger der beiden mutmaßlichen NSU-Unterstützer André E. und Ralf Wohlleben das Verfahren systematisch verzögert - mithilfe von fast 20 Befangenheitsanträgen. Heute war es nun endlich soweit: Die Vertreter der NSU-Opfer und ihrer Hinterbliebenen konnten mit ihren Schlussvorträgen beginnen.

Rund 50 Anwälte der NSU-Opfer und ihrer Hinterbliebenen wollen in den nächsten Wochen vor dem Oberlandesgericht in München das Wort ergreifen. Den Anfang machten Edith Lunnebach und Mehmet Daimagüler. Und beide nutzten ihren Auftritt, wie erwartet, für einen Generalangriff insbesondere gegen die Bundesanwaltschaft, aber auch gegen Verfassungsschutz und Polizei.

NSU mehr als ein Trio?

Edith Lunnebach vertritt die Opfer des NSU-Bombenanschlags in der Kölner Probsteigasse, bei dem im Januar 2001 eine 19-Jährige schwer verletzt wurde. Ruhig und unaufgeregt im Ton, hart in der Sache nimmt sie die Bundesanwälte ins Visier. Sie wirft ihnen vor, sich unverschämt gegenüber den Nebenkläger verhalten und keinen Willen zur vollständigen Aufklärung des NSU-Komplexes gezeigt zu haben.

Fahndungsbilder von Beate Zschäpe (l-r), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (von 1998)

Fahndungsbilder des NSU

Der NSU habe aus mehr Personen bestanden als nur Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, ist sich Lunnebach sicher. Das zeige der Anschlag in der Probsteigasse beispielhaft. "Wir gehen davon aus, dass keiner der beiden Uwes den Sprengsatz abgelegt hat, sondern dass es ein anderer war", sagte Lunnebach. "Und zwar weil es keine Identifizierung der beiden gab und weil der Tatort nicht durch die beiden hat ausgespäht werden können, ohne Hilfe von vor Ort."

Mitschuld von Polizei und Verfassungsschutz

Dass der Anschlag bis heute nicht restlos aufgeklärt ist, daran seien auch Polizei und Verfassungsschutz schuld, die zu Anfang überhaupt nicht in Richtung Rechtsextremismus ermittelt hätten. So sei durch die Borniertheit der verantwortlichen Ermittler die Chance vertan worden, den NSU frühzeitig zu enttarnen und weitere Anschläge und Morde zu verhindern, glaubt Lunnebach.

Das sei für sie und ihre Mandanten schwer erträglich. "Das ist ein erheblicher Vorwurf. Und das ist auch eine große Sorge meiner Mandanten, dass da immer noch jemand ist, der sie damals ausgespäht hat und der sie auch heute ausspähen könnte."

Auch Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, der die Tochter des Nürnberger Mordopfers Ismail Yaşar vertritt, widmet sich in seinem Schlussvortrag ausführlich der Rolle von Anklagebehörde, Polizei und Verfassungsschutz. Es sei eine Verhöhnung der Opfer, angesichts des allgemeinen Staatsversagens nur von Pannen zu sprechen.

Viele ungeklärte Fragen

Und viel zu viele Fragen seien weiter ungeklärt: "Warum haben die unseren Bruder umgebracht? Warum haben sie meinen Vater umgebracht? Warum haben sie ihn ausgesucht? Auf diese Frage haben wir keine Antwort bekommen", erklärte Daimagüler. "Und meine Mandantschaft will auch wissen: 'Warum hat die Polizei damals uns verdächtigt? Warum hat sie unseren Vater, unseren Bruder als Drogendealer dargestellt?'"

Die NSU-Affäre habe einmal mehr den institutionellen Rassismus staatlicher Behörden offenbart. Ein Mensch mit anderer Hautfarbe oder ohne deutschen Pass habe es hierzulande schwer, überhaupt als Opfer anerkannt zu werden, so Daimagüler. "Wo immer Rechtsradikale, Rassisten, Nazis ihre Morde verübt haben, gab es bei der Bundesanwaltschaft die Tendenz, die Tatmotive herunterzuspielen und den Täterkreis zu begrenzen."

Verhandlung wird mehrfach unterbrochen

Als Daimagüler in diesem Zusammenhang auf das Oktoberfestattentat und den folgenschweren Brandanschlag in einer Flüchtlingsunterkunft in Lübeck im Jahr 1996 mit zehn Toten verweist, grätschen plötzlich Zschäpes Verteidiger dazwischen und werfen Daimagüler einen Missbrauch seines Rederechts vor. Seine Einlassungen hätten nichts mit dem Verfahrensgegenstand zu tun.

Mehrfach wird die Verhandlung unterbrochen, zur Empörung des Opferanwalts: "Ich bin verblüfft und erschrocken, dass hier versucht wird, die Stimme der Opfer des NSU zum Schweigen zu bringen."

Zschäpe reagiert ungerührt

Beate Zschäpe und die anderen Angeklagten verfolgen die Ausführungen der Nebenklage-Anwälte beinahe ungerührt. Auch als Rechtsanwältin Lunnebach aus Zschäpes schriftlicher Erklärung vor Gericht zitiert und ihr "selbstbespiegelnde Weinerlichkeit" vorwirft.

Zwar ging es heute vor dem Münchner Oberlandesgericht hauptsächlich um die Schuld des Staates an der NSU-Affäre, dass die Hauptangeklagte schuldig ist, daran haben aber auch die Nebenkläger keine Zweifel. Dass sie von allem nichts gewusst haben oder erst im Nachhinein von den Morden erfahren haben will, sei völlig unglaubwürdig, so Lunnebach. "Wir glauben ihr nicht, dass nur die beiden Uwes das gemacht haben. Das sind Schutzbehauptungen, die aus unserer Sicht zeigen, dass Frau Zschäpe keine Unrechtseinsicht hat."

Thies Marsen, Thies Marsen, BR, 15.11.2017 19:48 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. November 2017 um 20:00 Uhr.