Teilnehmer mit Fotos von Opfern der NSU-Morde auf der Gedenkveranstaltung zum 20. Todestag des vom NSU erschossenen Mehmet Turgut.

NSU-Dokumentationszentrum "Wir sind es den Angehörigen schuldig"

Stand: 23.03.2024 08:40 Uhr

Wie kann ein würdiges Gedenken an die Opfer des NSU aussehen? Die Ampelparteien wollen einen Erinnerungsort und ein Dokumentationszentrum schaffen. Besonders heikel könnte die Frage werden, wo es angesiedelt werden soll.

Von Dietrich Karl Mäurer, ARD Berlin

Die Ampelparteien haben verabredet, dass ein Erinnerungsort und Dokumentationszentrum für die Opfer des rechtsextremistischen NSU-Terrors entstehen sollen. Im Koalitionsvertrag steht: "Wir unterstützen die Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer des NSU."

"Ich finde das sehr gut. Ich freue mich darauf", sagt Meral Sahin von der Interessengemeinschaft für die von türkischen Geschäftsleuten geprägte Keupstraße im Kölner Stadtteil Mülheim. In der Keupstraße zündeten 2004 die Rechtsterroristen des NSU eine Nagelbombe und verletzten 22 Menschen - zum Teil schwer.

Sahin hat als Ladeninhaberin den Anschlag miterlebt. An dem Vorhaben der Bundesregierung ist ihr besonders wichtig: "Dieses Dokumentationszentrum soll nicht nur für Betroffene sein, um Gotteswillen. Das soll Schüler und Studenten informieren. Menschen, die in Studiengängen oder in Seminaren dorthin gehen und sich Informationen holen können, sich weiterbilden können. Das soll für Bildung sorgen."

Nicht nur an die Verbrechen erinnern

Dieser Wunsch deckt sich mit den Vorstellungen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Der SPD-Politikerin ist es wichtig, dass ein Ort geschaffen wird, an dem nicht nur an die Verbrechen des NSU erinnert wird, sondern auch an das damalige Versagen der Behörden. Suchten die Ermittler doch über Jahre im Umfeld der Opfer nach Tätern, aber nicht im rechtsextremen Milieu: "Wir sind es den Angehörigen schuldig, einmal die Erinnerungen an diese furchtbaren Morde aufrechtzuerhalten, aber auch aufrechtzuerhalten, was dort für Fehler, auch seitens der Behörden, gemacht wurden."

Im Auftrag der Ministerin erstellte die Bundeszentrale für politische Bildung eine Machbarkeitsstudie. Die wurde Ende Februar vorgelegt. Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale, betont die Notwendigkeit der geplanten Einrichtung. Beim Thema NSU handele es sich um eine Lücke in der deutschen Erinnerungslandschaft. Eine Erinnerungslücke gebe es generell bei rechtsterroristischen Gewalttaten, sagt Krüger.

Der "Nationalsozialistische Untergrund"

Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) war eine Terrorzelle, bestehend aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die von 2000 an jahrelang unerkannt zehn Morde in ganz Deutschland verübte, fünf davon in Bayern. Ihre Opfer waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Mundlos und Böhnhardt verübten zudem zwei Bombenanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten.

Die beiden töteten sich 2011, um ihrer Festnahme zu entgehen - erst damit war der NSU aufgeflogen. Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios, wurde 2018 nach mehr als fünf Jahren Prozessdauer zu lebenslanger Haft verurteilt - als Mittäterin, auch wenn es keinen Beweis gibt, dass sie selbst an einem der Tatorte war.

Wo ist der richtige Ort?

Neben inhaltlichen Aspekten und der möglichen Organisationsstruktur widmet sich die Studie auch der Standortfrage: "Wir haben nach reiflichem Überlegen vorgeschlagen, ein Verbundsystem dezentraler Orte, nämlich der Orte, an den die Mordanschläge und Brandanschläge stattgefunden haben, vorzusehen und einen zentralen Ort."

Die Bundesinnenministerin will die Standortfrage nicht ohne Diskussion mit den Angehörigen der Opfer treffen: "Ich glaube, es sollte in der Hauptstadt, in Berlin sein. Ich weiß, dass auch Nürnberg sehr gerne gesehen ist. Es gibt aber auch Angehörige, die sagen, sie möchten nicht, dass es in einer der Tatstädte stattfindet. Das wäre mit Nürnberg aber der Fall."

Betroffene gegen Standort in Sachsen

Vorbehalte gibt es auch gegen einen Standort in Sachsen. Dort lebten die NSU-Terroristen und planten ihre Anschläge. Angehörige artikulieren Angst davor, in AfD-Hochburgen mit Rassismus konfrontiert zu werden. Meral Sahin aus der Keupstraße in Köln-Mülheim sieht das jedoch anders: "Ich finde, dass diese Aussage genauso viele Vorurteile in sich birgt wie was ich empfinde als Mensch, wenn man Vorurteile über mich hat."

Die Diskussion steht erst am Anfang. Die Studie der Bundeszentrale für politische Bildung rät, das Vorhaben Erinnerungsort und Dokumentationszentrum für die Opfer des NSU noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen.

Dietrich Karl Mäurer, ARD Berlin, tagesschau, 22.03.2024 11:35 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 23. März 2024 um 05:51 Uhr.