Intensivpflege
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Ambulante Intensivpflege Ein schwerkrankes Geschäft

Stand: 27.03.2018 06:00 Uhr

In der ambulanten Intensivpflege werden Hochrisikopatienten betreut, meist rund um die Uhr. Häufig aber wollen Pflegedienste mit ihnen vor allem Kasse machen. Pfleger sind schlecht ausgebildet, die Kontrolle funktioniert nicht. Ein Milliardengeschäft auf Kosten von Schwerkranken.

Von Von Claudia Gürkov, Lisa Wreschniok (BR Recherche), Ulrich Hagmann (report München)

Etwa 20.000 Intensivpatienten werden in Deutschland nicht stationär, sondern zu Hause gepflegt. Sie sind auf eine qualifizierte 24-Stunden-Betreuung angewiesen. Ohne diese könnten sie nicht überleben. Doch das System hat viele Mängel, wie Recherchen des BR zeigen.

Bea und Inge A. aus Fürth erleben seit sechs Jahren, was ambulante Intensivpflege bedeutet. Inge A. ist nach mehreren Schlaganfällen von den Schultern abwärts gelähmt. Sie hat eine Trachealkanüle im Hals, ein Röhrchen, das direkt in die Luftröhre führt. Inge A. kann nicht einmal husten, Pfleger müssen ihre Lunge absaugen, erklärt Bea A. Oft können sie es nicht, Bea A. bringt es ihnen bei:

Bei jeder Firma, die kommt, habe ich das Gefühl, die bauen eher ab. Die haben immer Stress, die haben nicht genug Personal, die nehmen zu viele Patienten auf. Die Leute haben keine gute Ausbildung, die sind nicht qualifiziert. Die bringen Leute her, die kein Deutsch können. Nur dass jemand da sitzt, neben dem Patient.
Intensivpflege -Bett eines Patienten

Tausende Fachkräfte fehlen in Deutschland im Intensiv-Pflegebereich. Pfleger aus dem Ausland sollen die Lücken füllen, sind aber oft nicht qualifiziert - dafür aber kostengünstig für die Pflegedienste.

Etwa 21.000 qualifizierte Fachkräfte fehlen

Die Zahl der Intensivpatienten steigt. Der Fachkräftemangel ist gravierend. Laut dem Deutschen Institut für angewandte Pflegewissenschaften fehlen schon jetzt rund 21.000 qualifizierte Kräfte. Das hat zur Folge, dass viel Personal aus dem Ausland kommt - in den vergangenen Jahren verstärkt aus den Ländern des Westbalkans.

Die einen sind zwar ausgebildet, aber hier nicht anerkannt und sprechen kaum Deutsch. Andere kommen etwa als Haushaltshilfe nach Deutschland, werden aber trotzdem in der Intensivpflege eingesetzt. So wie Dana (Anm. der Redaktion: Name geändert) aus Serbien. Sie habe Monate lang durchgearbeitet und dafür kaum Geld bekommen, nur etwa zwei Euro brutto die Stunde, erzählt sie. Es dauerte lange, ehe sie sich entschloss, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen. Noch immer hat sie Angst vor ihrem Ex-Chef und will daher anonym bleiben:

Pflegekräfte wurden herangeschafft, nur damit der Arbeitgeber Geld verdient. Es hat niemanden interessiert, welche Ausbildung sie hatten oder woher sie kamen. (…) Es waren auch ausgebildete Pflegekräfte dabei. Aber ich hatte auch Kolleginnen, die überhaupt keinen Bezug zu einem Pflegeberuf hatten.

Ihr ehemaliger Arbeitgeber schreibt auf Anfrage, dass alle ausländischen Mitarbeiter bezüglich Qualifikation und Sprachkenntnissen im Herkunftsland geprüft seien. Ohne diese Überprüfung sei eine Arbeitsaufnahme in Deutschland überhaupt nicht möglich.

Lebensgefahr durch schlechte Pflege - Staatsanwaltschaft ermittelt

Hilfskräfte wie Dana können im Notfall nicht einmal einen Arzt rufen, sie machen Fehler. BR Recherche und dem ARD-Politmagazin report München liegen Belege für zum Teil lebensgefährliche Situationen vor.   

Eine Patientin bekam eine gefährliche Überdosis eines starken, krampflösenden Mittels. Der Pflegedienst räumte dies ein und schrieb, eine "besondere Beeinträchtigung der Gesundheit des Patienten wurde glücklicherweise nicht festgestellt". In einem Fall schalteten Hilfskräfte versehentlich Beatmungsgeräte ab. Der Pflegedienst erklärte, dass alle Mitarbeiter über die notwendigen Ausbildungen und Qualifikationen verfügen würden.

In einem weiteren Fall starb ein Intensivpatient, nachdem eine Pflegehelferin die Trachealkanüle gewechselt hatte. Hier ermittelt die Staatsanwaltschaft Hof wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung. Der Pflegedienst bedauerte das Ableben des Patienten und bestritt, Pflegehelfer bei Intensivpatienten einzusetzen.

Intensivpflege Spritze

Eine verabreichte Überdosis, ein abgeschaltetes Beatmungsgerät - Fehler unqualifizierter Pflegekräfte kosten Patienten schon mal das Leben.

Hilfskräfte eingesetzt - Fachkräfte abgerechnet

Die ambulante Intensivpflege ist ein Riesengeschäft. Allein die gesetzlichen Krankenkassen zahlen dafür vier Milliarden Euro im Jahr. Das hat das Deutsche Institut für angewandte Pflegewissenschaften in Köln berechnet. Daran wollen viele verdienen. Nach Informationen des BR setzen Pflegedienste häufig unqualifiziertes Personal ein, rechnen aber Intensivfachkräfte ab, für die sie von den Kassen viel mehr Geld erhalten.

Der Beauftragte zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen der AOK Bayern, Dominik Schirmer, hat alle der rund 130 Intensivpflegedienste im Freistaat im Blick:

Wir müssen feststellen, dass gegen 23 dieser Dienste zur Zeit Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften angesiedelt sind. Das finde ich schon eine erschreckend hohe Zahl, weil wir im Bereich der ambulanten Intensivpflege wirklich mit Fallkonstellationen konfrontiert sind, wo es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod geht.

Lückenhafte Kontrollen

Für die Kontrolle der Intensivpflegedienste ist der Medizinische Dienst der Krankenkassen zuständig. Aber der MDK meldet sich in der Regel 24 Stunden vorher an. Das nutzen Dienste, um Papiere zu schönen oder Hilfskräfte gegen Fachkräfte auszutauschen.

Markus Fischer vom MDK Bayern kann nicht überprüfen, ob vorgelegte Patientenlisten korrekt sind: "Wir haben keine Zugriffsmöglichkeiten wie eine Staatsanwaltschaft oder eine Ermittlungsbehörde, und wir können nur auf die Zusammenarbeit und die Mitwirkungspflicht des Pflegedienstes hoffen und auch daran anknüpfen. Nur das, was uns vorgelegt wird, das können wir einsehen."

Intensivpflege - Dienstplan

Dienstpläne gibt es in verschiedene Versionen - den tatsächlichen, einen für die Gewerbeaufsicht und einen für den MDK. Das ergaben die Recherchen.

Systematische Täuschung

Intensivpfleger berichten, dass einige Dienste den MDK systematisch täuschen. Dem BR liegen Belege vor, wonach Pflegedienste mehrere Dienstpläne führten. Einen für den MDK, einen für die Gewerbeaufsicht, die die Arbeitszeit kontrolliert, und dann noch den tatsächlichen Dienstplan.

Selbst wenn der MDK Missstände aufdeckt, kann er darüber nur informieren. Aktiv werden müssen die Kassen. Und geschlossen werden kann ein Intensivpflegedienst erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung.

Diese und weitere Beiträge können Sie heute Abend um 21.45 Uhr in der Sendung report München im Ersten sehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD in „report München“ am 27. März 2018 um 21:45 Uhr.