Reportage

Venezuela beutet Bodenschätze aus Im Teufelskreis der Abhängigkeit

Stand: 27.04.2017 05:24 Uhr

Der Ölpreisverfall ist ein Grund der Krise in Venezuela. Doch statt sich von der Abhängigkeit von Bodenschätzen zu befreien, lässt die Regierung jetzt sogar in Nationalparks danach graben. Das gefährdet Natur und Menschen - die Wirtschaftskrise löst es nicht.

Von Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko City

Im grünen Süden Venezuelas schippern Goldgräber in Einbäumen mit Außenbordmotoren über die breiten Dschungelflüsse - sogar im Nationalpark Canaima. Hier ist die Suche nach Gold eigentlich verboten. Der Blick auf die spektakulären Tafelberge und den höchsten Wasserfall der Welt soll nicht gestört werden.

Die Ureinwohner, die Pemon, holen schon seit vielen Jahren Gold aus den Flüssen und aus der Erde, seit ihnen weiße Eindringlinge zeigten, dass sich Gold in Geld verwandeln lässt. Wegen der schweren Wirtschaftskrise, und weil keine Touristen mehr kommen, seien inzwischen fast alle Pemon hier zu Goldgräbern geworden, erzählt die junge Mutter Angie Gómez. Sie sitzt in der einzigen Bar von Canaima, in der die Pemon ihr Bier oft mit Gold bezahlen. "Wir zerstören mit den Minen unsere Natur, unsere Flüsse, alles, was wir zum Leben brauchen". Durch die Arbeit dort habe sich auch ihre Kultur verändert. "Früher brauchten wir kein Geld. Wir hatten Maniok und alles das, was die Erde uns gab."

"Uns bleibt am Ende nichts"

Auch im Naturreservat der Yekuana, etwas weiter westlich auf dem Guayana-Schild, habe der Bergbau in den letzten Jahren extrem zugenommen, erzählt Mayraleno Cortes. Der junge Indigene arbeitet für eine Organisation, die für die Rechte der Yekuana kämpft. "Es kommen immer mehr Leute auf der Suche nach Gold und Diamanten. Große Unternehmen stecken dahinter. Sie beuten die indigenen Gemeinschaften aus, lassen die Einwohner für sich arbeiten. Uns bleibt am Ende nichts."

Gold ist nach dem Glauben der Yekuana heilig und darf deshalb gar nicht abgebaut werden. Die Umweltschäden sind sichtbar: Zum Beispiel komme es vermehrt zu Missbildungen bei Kindern durch das mit Chemikalien aus Goldminen verunreinigte Wasser, berichtet Cortes. Seine große Sorge ist das neue Gesetz "Arco Minero". Dadurch dürfte es in seiner Heimat bald noch mehr Minen geben.

Ausländische Firmen - unter dem Dach des Ministeriums

Weit weg, im Parlament der Hauptstadt Caracas, kämpft der Abgeordnete Americo di Gracia gegen "Arco Minero". 2016 haben die regierenden Sozialisten das Projekt per Dekret am oppositionsdominierten Parlament vorbei auf den Weg gebracht. Den Einspruch des politischen Gegners lehnte das Oberste Gericht ab. Die reichen venezolanischen Bodenschätze dürfen jetzt von ausländischen Unternehmen ausgebeutet werden, unter dem Dach einer Aktiengesellschaft, die zum Verteidigungsministerium gehört. Erkundungen haben bereits begonnen, erste Lizenzen sind vergeben.

"'Arco Minero' ist die Vollendung dessen, was wir den 'Teufelskreis der Rentenökonomie' nennen", sagt der Abgeordnete di Graci. "Gestern hingen wir vom Erdöl ab, heute vom Bergbau oder von beidem. Damit finanzieren wir den Staatshaushalt und die Sozialprogramme. Aus finanzieller Sicht kommt es einem Betrug an der Nation gleich, weil die Probleme der Venezolaner mit 'Arco Minero' nicht gelöst werden. Wir hatten 14 Jahre lang enorme Staatseinnahmen aufgrund der hohen Preise für das Öl aus unserer staatlichen Förderung, aber die Regierung hat alles verschleudert. Und jetzt will sie uns glauben machen, unser Leben werde in fünf oder zehn Jahren besser sein, obwohl wir unsere Flüsse vergiften und den indigenen Völkern den Lebensraum wegnehmen?"

Präsident verspricht blühende Landschaften

Dem Unterzeichner des Dekrets, dem sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro, schweben dagegen blühende Landschaften vor: "Das Dekret dient der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unseres Landes", behauptet er. "Alle Gewinne dienen der Entwicklung der Nation, des venezolanischen Volkes. Sie werden investiert in Gesundheit, Wohnungsbau, Erziehung, Kultur, Transport, Infrastruktur - in Leben."

In Zeiten der Krise, in denen die Staatseinnahmen nicht mehr für den Import von Lebensmitteln und Medikamenten reichen, wird das Tafelsilber verscherbelt. Für Gold und Diamanten opferten die Sozialisten zuerst den demokratischen Gesetzgebungsprozess, dann das Andenken von Chávez: Der verstorbene sozialistische Präsident hatte den besonderen Schutz der indigenen Bevölkerung in die Verfassung schreiben und deshalb auch den illegalen Bergbau in der Region stoppen lassen.

Ana Elisa Osorio war unter Hugo Chávez Umweltministerin. Heute ist sie erbitterte Regierungsgegnerin: "Was die Regierung tut, hat mit Chavismus nichts mehr zu tun. Sie handelt im Interesse der Rechten, der Unternehmen, die sich hohe Gewinne aus dem Bergbau versprechen. Chávez hatte ihnen diesen Weg versperrt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Lösung der wirtschaftlichen Probleme Venezuelas im Bergbau liegt. Ganz im Gegenteil, wir vernichten unsere Süßwasserreserven, unsere Wälder, unser Klima. Unserer Zukunft gegenüber ist das verantwortungslos."

"Ein angekündigter kultureller Völkermord"

118.847 Quadratkilometer, etwa zwölf Prozent der Gesamtfläche Venezuelas, sind jetzt Erkundungszone, sollen ausgebeutet werden. Mit dramatischen Folgen für die Umwelt: Der Guri-Stausee, aus dessen Wasserkraftwerk 70 Prozent der Stromversorgung stammen, bekommt durch den Bergbau schon jetzt weniger Wasser und zu viel Schlamm. Klimaveränderungen sind die Folge und die Zerstörung des Lebensraums der indigenen Bevölkerung.

Heute sind bereits zwischen 50.000 und 100.000 illegale Bergarbeiter in dem Gebiet, schätzt der Soziologe und linke Vordenker Edgardo Lander. Durch "Arco Minero" würden sie legal und ihre Zahl vervielfacht. Das sei ein "angekündigter kultureller Völkermord", sagt der Soziologe. Die indigenen Gruppen in dem Gebiet seien schon jetzt stark vom Bergbau betroffen. "Und mit diesem Projekt verlieren sie jegliches Recht auf ihre territoriale Autonomie."

Jeder bekommt sein Stück vom Kuchen

Die verlieren sie bereits: Im Gebiet der Yekuana zum Beispiel - in dem die Organisation des jungen Indigenen Mayraleno Cortes gegen die Eindringlinge kämpft. Doch die stünden unter dem Schutz der Armee, die die Gewinne kontrolliere, erzählt er: "Wir haben um die Präsenz des Militärs gebeten, aber dadurch hat sich unsere Situation nicht verbessert. Im Gegenteil, die Soldaten und die hiesigen Behörden sind zu Komplizen geworden. Sie kennen die Probleme mit den illegalen Minen. Aber an den Kontrollposten kassieren sie einfach ihre Spritze - so nennen wir das Schmiergeld hier."

Jeder bekommt sein Stück von dem Kuchen. Armee und sozialistische Regierung verwalten die Einnahmen. Wenn die sprudeln, werden die Armen Venezuelas wieder Geschenke erhalten. Aber Strukturprobleme löst das nicht. Auf Kosten von Mensch und Umwelt steuert das Land von einer Abhängigkeit in die nächste.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 27. April 2017 um 05:12 Uhr.