Eine Friseurin schneidet Haare.
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Trotz EU-Prüfverfahren Pestizide im Haar

Stand: 04.12.2018 06:00 Uhr

Die EU prüft Pestizid-Wirkstoffe vor der Zulassung in einem langwierigen Verfahren. Dennoch gibt es darunter Substanzen, deren Wirkung unklar ist. Eine BR-Recherche nährt Zweifel am Verfahren.

Von Von Elisa Harlan und Lisa Wreschniok, BR

Es war pure Neugier, die Ingrid Silvasi im Spätsommer dazu bewogen hat, bei einem Pestizid-Haartest mitzumachen. Für eine Studie im Auftrag der Grünen im EU-Parlament schickte sie eine Haarprobe in ein Labor. Sie war sich sicher: Bei ihr findet sich nicht die kleinste Menge Pflanzengift. Schließlich ernährt sie sich fast ausschließlich von Bio-Lebensmitteln und lebt vegan.

Dann kam die Überraschung, "dass Spuren von einem Pestizid in meinem Haar, also auch in meinem Körper, gefunden worden sind", so Silvasi im Interview mit dem ARD-Politmagazin report München.

Pestizid-Rückstände im Haar

Das Ergebnis, das ihr die Analyse liefert, ist sehr präzise. In ihrem Haar sind Rückstände des Pestizids Chlorpyrifos nachweisbar. Das muss Silvasi erst mal googeln. Das Ergebnis erschreckt sie, denn der Stoff steht im Verdacht, schädlich für den Menschen zu sein und zum Beispiel die Entwicklung des kindlichen Gehirns im Mutterleib zu beeinflussen. Spätfolgen können ein geringerer Intelligenzquotient oder Aufmerksamkeitsstörungen sein.

Allerdings wurden die Gesundheitsgefahren, die von Chlorpyrifos ausgehen, bei der Zulassung möglicherweise falsch eingeschätzt, denn brisante Studienergebnisse fehlten an entscheidender Stelle des Zulassungsantrags des Herstellers Dow Agros Sciences.

Die zuständige Prüfbehörde hat das, wie der BR exklusiv berichtete, nicht bemängelt und die Herstellerstudie akzeptiert. Heute ist Chlorpyrifos eines der am meisten eingesetzten Pflanzenschutzmittel.

Copy und Paste im Pestizid-Prüfverfahren

Eine Datenanalyse zeigt nun, wie fehleranfällig das europäische Zulassungsverfahren für Pestizide ist. Für insgesamt 25 Pestizidwirkstoffe, die in der EU verwendet werden und deren Zulassung verlängert werden sollte, hat ein Team aus Daten- und Wissenschaftsjournalisten des BR die Zulassungsdokumente untersucht.

Das Ergebnis: Bei 15 Stoffen fanden sich die Risikobewertungen nicht gekennzeichnet, zum Teil wurden Textanteile wortwörtlich aus den Herstelleranträgen übernommen. Ob die Gefährlichkeit der Stoffe von den Behörden unabhängig und sorgfältig überprüft wurde, ist in diesen Fällen also nicht nachvollziehbar - nicht für die Öffentlichkeit und auch nicht für andere Wissenschaftler.

EU-Behörde wiegelt ab

Letztlich verantwortlich für die Risikoeinschätzung ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA. Auf BR-Anfrage schreibt sie: "Die Aufgabe der Behörde ist es, die Selbsteinschätzung des Herstellers zu überprüfen und nicht alles neu zu schreiben." Man gehe davon aus, dass Übernahmen inhaltlich geprüft seien.

Der renommierte Plagiatsforscher Stefan Weber kritisiert diese Praxis als intransparent, denn damit sei nicht mehr erkennbar, aus welcher Quelle ein Text stamme: "Die Interpretation einer Studie ist zu einem gewissen Grad immer offen. Wenn jetzt eine Prüfbehörde das rauskopiert und sich der Meinung der Hersteller anschließt, besteht die Gefahr, dass einseitige Werturteile der Antragsteller in die Texte der Prüfbehörde fließen."

Verbraucher müssen derzeit also auf ein weitgehend intransparentes System vertrauen, das sie eigentlich vor gefährlichen Stoffen schützen soll.

Mehr zu diesem Thema sehen Sie heute im report München um 21.45 Uhr.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 04. Dezember 2018 um 21:45 Uhr in der Sendung "Report München".