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Interview zu Nordkorea "Kim bleibt auf nuklearem Pfad"

Stand: 29.11.2017 15:59 Uhr

Nordkoreas Führung lässt sich weder durch Sanktionen noch durch Verhandlungen vom nuklearen Pfad abbringen, meint Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die verhaltenen Reaktionen der USA deutet er als eine Art Ratlosigkeit.

ARD-aktuell: Nordkorea sehe sich nun zu Angriffen auf das gesamte Territorium der USA in der Lage, hieß es. Ist das selbst ernannte historische Ziel Nordkoreas damit erreicht, eine Atommacht zu werden?

Markus Kaim: Man muss zwei Dinge auseinanderhalten: Ob die nordkoreanische Führung oder die Streitkräfte in der Lage sind, die USA zu erreichen, - vor allem das gesamte Territorium -, das ist nicht ganz klar, weil wir nicht genau wissen, was das für eine Last gewesen ist, die diese Rakete getragen hat. Wenn es tatsächlich ein unechter Sprengkörper gewesen sein sollte, dann ist die Reichweite der Rakete wahrscheinlich viel zu hoch eingeschätzt worden. Das bleibt also noch mal abzuwarten.

Den zweiten Teil der Frage finde ich viel wichtiger: Die nordkoreanische Führung hat noch einmal deutlich unterstrichen, dass sie erstens kein Interesse daran hat, sich vom nuklearen Pfad abbringen zu lassen - weder durch Sanktionen noch durch Verhandlungsangebote. Und zweitens, dass sie diese Schwelle bereits überschritten hat - und dass die Erwartung der internationalen Gemeinschaft, dass Nordkorea tatsächlich noch denuklearisiert werden könnte, wie es immer heißt, aller Wahrscheinlichkeit nach eine Illusion ist.

Die Ratlosigkeit Washingtons

ARD-aktuell: Trump erklärte ja: Der Raketenstart ändere nichts an der Nordkoreapolitik der USA. Für ihn sind das recht sanfte Töne Wie kommt das?

Kaim: Ich glaube, es hat ein bisschen mit einer Ratlosigkeit in Washington zu tun. Wir hatten jetzt seit Mitte September keinen Nukleartest und keinen Raketentest. Das wurde ja als ein Signal der Entspannung gesehen - wenn nicht sogar der Verhandlungsbereitschaft Nordkoreas. Nun sind wir wieder dort angekommen, wo wir im September waren. Die amerikanische Führung hat betont, die internationale Gemeinschaft hinter sich zu versammeln und Nordkorea mit einer Mixtur aus wirtschaftlichen Sanktionen und militärischen Drohgebärden zum Einlenken zu bringen.

Nun man muss realistisch betrachten, das dies bis zum September nichts gebracht hat, und ich sehe nicht, was ich an dieser Gemengelage verändert hat. Im Gegenteil: Wir haben mittlerweile seit 2006 sechs Sanktionsrunden durch den UN-Sicherheitsrat - ohne das angestrebte Ergebnis. Wenn wir und die Zahl der Nukleartest und vor allem die Zahl der Raketentests ansehen, hat Nordkorea gerade in diesem Jahr seine nuklearen Bemühungen noch einmal erheblich beschleunigt.

Kim Jong Un bei einer TV-Ansprache zum erneuten Raketentest

"Mit China haben wir eine unbekannte Größe"

ARD-aktuell: US-Außenminister Tillerson sagte, es gebe gesicherte Anzeichen dafür, dass Nordkorea vor einem Versorgungsproblem beim Treibstoff stehe und die Staatseinnahmen deutlich sinken. Ist das alles nur Rhetorik, wenn die Sanktionen tatsächlich nicht greifen?

Kaim: Ich bin da sehr zurückhaltend. Diese Berichte über erfolgreiche Sanktionen haben wir schon so häufig gehört. Bei Sanktionen ist immer die Frage: Wen treffen sie? Dass sie das Wirtschaftsleben Nordkoreas berühren oder beeinträchtigen, ist völlig unstrittig.

Aber Sanktionen müssen sich an dem Ziel bemessen lassen, das sie formuliert haben. Das hieße konkret: Nordkorea vom nuklearen Pfad abzubringen. Wenn Nordkorea einer internationale Verhandlungslösung unter Obhut der Vereinten Nationen zustimmen würde, seine nuklearen Fähigkeiten unter Kontrolle der internationalen Gemeinschaft zu stellen und kontrolliert abrüsten zu lassen, dann würde ich glauben, dass diese Sanktionen wirklich Früchte tragen. Aber bisher sehen wir das einfach nicht.

Das hat vor allem damit zu tun, dass wir eine unbekannte Größe haben: China ist der größte Handelspartner Nordkoreas - und ob China wirklich die von ihm selber mitbeschlossenen Sanktionen so umsetzt wie vermutet oder erhofft, erscheint doch fragwürdig.

Zur Person

Markus Kaim leitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Der Konfliktforscher lehrt unter anderem an der Universität Zürich und der Hertie School of Governance in Berlin.

Gestärkte Beziehungen zwischen USA, Südkorea und Japan

ARD-aktuell: Kim versucht mit seinen Provokationen, die Allianz aus den USA, Japan und Südkorea zu schwächen. Wie sehr gelingt ihm das?

Kaim: Bislang überhaupt nicht. Die Regierung Trump hat ja in der vergangenen Nacht nachdrücklich bekräftigt, dass kein Papier zwischen die USA und die japanische und südkoreanische Führung passen würde. Er erreicht eigentlich genau das Gegenteil: nämlich, dass die amerikanisch- japanischen Beziehungen und die amerikanisch-südkoreanischen Beziehung eher besser und enger werden. Trotz der Tatsache, dass in der Frage, wie man mit Nordkorea umzugehen hat, gerade zwischen der amerikanischen und der südkoreanischen Führung erhebliche Differenzen gibt und auch in Zukunft wahrscheinlich geben wird.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die amerikanische Führungsrolle in Ostasien - gerade im militärischen Bereich - ist dadurch eher bekräftigt als geschwächt worden.

"Militärische Option ist unrealistisch"

ARD-aktuell: Auch eine militärische Option ist gerade von Seiten der USA ist immer wieder im Gespräch. Ist das eine realistische Option?

Kaim: Nach all dem was wir wissen nicht. Die nordkoreanischen nuklearen Fähigkeiten sind hochgradig gesichert und auf unterschiedliche Orte verteilt. Das heißt, man müsste mit einem massiven Schlag diverse Örtlichkeiten in Nordkorea zerstören - und vor allem so zerstören, dass die Zweitschlagsfähigkeit Nordkoreas erheblich eingeschränkt beziehungsweise nicht mehr existent wäre.

Und ob die amerikanischen Streitkräfte erstens die geheimdienstlichen Erkenntnisse haben - nämlich tatsächlich genau wissen, wo die nordkoreanischen Raketen Treibstoff, Bestandteile und mehr gelagert sind - und ob sie auch die militärischen Fähigkeiten haben, im technischen Sinne dagegen vorzugehen: Das steht auf einem ganz anderen Blatt.

Das Interview führte Ina Böttcher, tagesschau 24

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 29. November 2017 um 11:30 Uhr.